Weihnachtsgrüße

Weihnachts-KantileneMaria war zu Bethlehem, Wo sie sich schätzen lassen wollte; Da kam die Zeit, daß sie gebären sollte; Und sie gebar ihn – Und als sie ihn geboren hatte und sah den Knaben nackt und bloß; Fühlt sie sich selig, fühlt sich groß, und nahm voll Demut ihn auf ihren Schoß Und freuet sich in ihrem Herzen fein, berührt den Knaben zart und klein Mit Zittern und mit Benedei'n, und wickelt ihn in Windeln ein… Und bettete ihn sanft in eine Krippe hin. Sonst war kein Raum für ihn.Vor Gott gehts göttlich her, und nicht nach Stand und Würden. Herodem läßt er leer, mit seinem ganzen Heer; Und Hirten auf dem Felde bei den Hürden Erwählet er.Sie saßen da und hüteten im Dunkeln ihre Herde, mit unbefangnen, frommen Sinn; Da stand vor ihnen an der Erde, Ein Engel Gottes… und trat zu ihnen hin, und sie umleuchtete des Herren Klarheit, und er sagte ihnen die Wahrheit.Und eilend auf sie standen, Gen Bethlehem zu gehn, und kamen hin und fanden, Ohn' weiteres zu verstehn. Maria und Joseph beide. Und in der Krippe lag zu ihrer großen Freude, in seinem Windelkleide, auf Grummet von der Weide, der Knabe wunderschön.Die Väter hoffeten auf ihn mit Tränen und mit Flehn, und sehnten sich, den Tag des Herrn zu sehn, und sahn ihn nicht.Was Gott bereitete, und von der Welt her heimlich und verborgen war, ward in der Zeiten Fülle offenbar.Die Weisen fielen vor ihm nieder, und gaben ihre Schätze gern, Und gaben Weihrauch, Gold und Myrrhen. Sie sahen seinen Stern, und kannten ihren Heiland, ihren Herrn, und ließen sich das Heu und Stroh nicht irren.Dem Menschen dünkt es wunderbar, und mag es nicht verstehn; doch ist's wahrhaftig wahr! und selig sind die Augen die ihn sehn.

Matthias Claudius

Der SeelchenbaumWeit draußen, einsam im öden Raum steht ein uralter Weidenbaum noch aus den Heidenzeiten wohl, verknorrt und verrunzelt, gespalten und hohl. Keiner schneidet ihn, keiner wagt vorüberzugehn, wenn's nicht mehr tagt, kein Vogel singt ihm im dürren Geäst, raschelnd nur spukt drin der Ost und West; doch wenn am Abend die Schatten düstern, hörst du's wie Sumsen darin und Flüstern. Und nahst du der Weide um Mitternacht, siehst sie von grauen Kindlein bewacht: Auf allen Ästen hocken sie dicht, lispeln und wispeln und rühren sich nicht. Das sind die Seelchen, die weit und breit sterben gemußt, eh' die Tauf' sie geweiht: Im Särglein liegt die kleine Leich', nicht darf das Seelchen ins Himmelreich. Und immer neue, - siehst es du? - in leisem Fluge huschen dazu. Da sitzen sie nun das ganze Jahr wie eine verschlafene Käuzchenschar. Doch Weihnachts, wenn der Schnee rings liegt und über die Länder das Christkind fliegt, dann regt sich's, pludert sich's, plaudert, lacht, ei, sind unsre Käuzlein da aufgewacht! Sie lugen aus, wer sieht was, wer? Ja freilich kommt das Christkind her! Mit seinem helllichten Himmelsschein fliegt's mitten zwischen sie hinein: »Ihr kleines Volk, nun bin ich da - glaubt ihr an mich?« Sie rufen: »Ja!« Da nickt's mit seinem lieben Gesicht und herzt die Armen und ziert sich nicht. Dann klatscht's in die Hände, schlingt den Arm ums nächste - aufwärts schwirrt der Schwarm ihm nach und hoch ob Wald und Wies' ganz graden Weges ins Paradies.

Ferdinand Ernst Albert Avenarius

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